Im nächsten Jahr sind Bundestagswahlen. Ich bin im Moment kein Delegierter zum Bundesparteitag – und dadurch werde ich nicht direkt gefragt werden, wie ich denn die Frage sehe. Dennoch möchte ich hier ein paar Gedanken kund tun.
Wir sollten ganz klar sagen, dass wir uns eine Koaliton mit der CDU wünschen – aber auch im Vorwege festhalten, dass wir uns – weil wir eine eigenständige und gute Programmatik haben – nicht darauf festlegen. Wenn man aus der gemeinsamen Regierungsverantwortung kommt, die Regierung gut funktioniert hat, wie in Niedersachsen 2008, dann ergibt es Sinn sich festzulegen. Im Bund wird das aber nicht der Fall sein nächstes Jahr. Sollte das Wahlergebnis für Schwarzgelb wieder nicht reichen, müssen wir zumindest in der Lage sein auch mit anderen Parteien über ein Regierungsbündnis zu verhandeln. Der Umfrage und Wahlerfolg der Hessischen Liberalen nach der klaren Koalitionsaussage gibt ihnen zwar recht.. Aber was haben sie jetzt davon? Womöglich demnächst eine Rot-rot-grüne Regierung. Nicht falsch verstehen, man muss nach der Wahl tun was man vorher gesagt hat – insofern kommt in der konkreten Situation eine Ampel nicht in Frage – ob man sich aber vorher festlegen MUSSTE ist aus meiner sicht schwer zu sagen. Wichtig ist, dass die Parteifreunde in Hessen trotz der Versuchung einzugeben Wort halten! Dafür meine Anerkennung. Das Image der „Umfaller“ ist meine liebe Partei damit wohl erstmal los.
Im Jahre 2003 waren wir in Niedersachsen schon mal in einer ähnlichen Situation. Wir kamen aus der Opposition und wollten natürlich gern in die Regierungsverantwortung. Ich war damals noch recht neu in der Partei aber schon so angenehm aufgefallen, dass ich mit meinen 21 Jahren bereits Delegierter zum Landeshauptausschuss (Kleiner Parteitag mit ca. 100 Delegierten aus ganz Niedersachsen) war. Der Landesvorstand hatte damals einfach mal beschlossen, dass wir uns nach der Wahl auf eine Koalition mit der CDU festlegen.
Der Winsener Ortsverband der FDP sah das anders und hatte einstimmig beschlossen, dass wir uns nicht festlegen sollten. Das habe ich damals (bei meinem ersten Auftritt auf Landesebene) in Hannover so vertreten:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es gibt Liberale verschiedenster Couleur. Was uns allerdings alle verbindet ist die Liebe zur Freiheit. Was Freiheit ist, darüber scheiden sich auch bei uns die Geister, doch finden wir vielleicht bei George Orwell die Definition, mit der wir uns alle abfinden können:
Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann vor allem das Recht,
anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen
Für die Liberalen bedeutet das nach meiner Ansicht sogar eine Verpflichtung.
Tja… das wollen wir auch mit dem heutigen Antrag, der im Übrigen auch von den Ortsverbänden Tostedt und Neu Wulmstorf unterstützt wird, tun.
Ich glaube, dass wir in letzter Zeit so etwas wie den Beginn der Emanzipation des deutschen Liberalismus erleben konnten. Die neue Eigenständigkeitsdoktrin der Ära Westerwelle hat uns einen ungeahnten Aufschwung beschert. Immer mehr Menschen in Deutschland bekennen sich zu liberalen Werten und haben erkannt, dass der Staat dem Individuum dienen soll und nicht umgekehrt.
Diese Menschen, meine Damen und Herren, stellen unsere Wähler dar, die Wähler die wir wollen, und die Wähler, denen wir mit einer prämaturen Koalitionsaussage, vor den Kopf stoßen. Man könnte den Begriff der ejaculatio präcox hier aufgreifen.
Für die „liberale Emanzipation“, eine langfristige positive Entwicklung, stellt sie einen Rückschritt dar. Wir an der Basis haben den vergangenen Sommer damit verbracht, die Wähler in mühevollen Einzelgesprächen davon zu überzeugen, das wir als eigenständige Kraft im politischen System einen eigenen Wert – unabhängig von den beiden großen Volksparteien – darstellen. Es ist schwer, sich ohne rot zu werden nun vor dieselben Wähler zu stellen, nach dem Motto: war alles nur Spaß… wir kriegen alleine ja doch nichts auf die Reihe.
Es wird behauptet, dass wir mit einer Koalitionsaussage in der Vergangenheit bessere Ergebnisse erzielt hätten als ohne. Überprüfen wir die Aussage anhand der Bundestagswahlen: nur 1998 und 2002 sind wir aus der Opposition gekommen, andere Vergleichsdaten scheiden also aus. Fakt ist: Mit Koalitionsaussage haben wir einen um 2% GERINGEREN Stimmenanteil bekommen als ohne.
Wir müssen also ganz klar machen, das wir auf einem Punkt stehen, der sich deutlich von dem der SPD ABER AUCH von dem der CDU unterscheidet, und das wir NACH DER WAHL! schauen können, wer den größeren Schritt in unsere Richtung macht bzw. mit wem de facto eine liberal angehauchte Regierung auf die Beine zu stellen ist. Dafür ist Äquidistanz keine notwendige Voraussetzung. Natürlich steht uns das Programm der CDU momentan näher, während Herr Gabriel langsam alle Sympathien verspielt. Wer sagt uns aber, dass der nicht bei einem entsprechenden Wahlergebnis plötzlich vom Saulus zum Paulus wird? Es ist wie in der Wirtschaft: Nein sagen kann man doch erst, wenn Angebote vorliegen.
Wer uns gerade wegen der Koalitionsaussage wählt, sieht uns notwendigerweise als Anhang, also als Appendix der CDU. Dann werden wir doch höchstens gewählt, um ab und an eine Appendicitis zu verursachen, wenn die Schwarzen auf dumme Gedanken kommen. Als ansonsten überflüssiges Organ kann und will ich die FDP aber nicht sehen und erst recht nicht verkaufen.
Deshalb werbe ich um Ihre Unterstützung für diesen Antrag…. Um dem Wähler zu zeigen, dass wir als eigene Kraft für eigene Werte einstehen.
Es war schön zu erleben, dass die Delegierten, die noch während ich zum Rednerpult ging Feindselig guckten und sogar ein bis zwei Buhrufe kamen – zum Ende meiner Rede doch noch mehrheitlich applaudierten.
Die Gegenrede hielt ein gewisser Philipp Rösler, der damals Generalsekretär der Niedersächsischen FDP war und ich verlor die Abstimmung (mit ich glaube 4 zu 93 Stimmen jedenfalls etwa so). Trotzdem immer schön abweichende Meinungen haben und sagen zu können!