Zivilcourage

Aus aktuellem Anlass blogge ich hier mal einen Vortrag zum Thema Zivilcourage, den ich SO nie gehalten habe – das hätte den Rahmen der damaligen Podiumsdiskussion zur „Zivilcourage“ am Gymnasium Winsen gesprengt. Trotzdem habe ich damals glaube ich meinen Punkt rübergebracht und ich hoffe, der ein oder andere hat Freude an meinen Gedankengängen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung zu dieser Veranstaltung. Das Thema Zivilcourage ist natürlich Leib- und Magenthema aller Liberalen, insofern bin ich besonders froh, zu diesem Anlass hier sein zu dürfen.

Heute wird unter Zivilcourage das Auftreten gegen oder für die herrschende Meinung verstanden, mit dem der Einzelne, ohne Rücksicht auf sich selbst, seine persönlichen Werte oder die Werte der Allgemeinheit vertritt. Zivilcourage ist sichtbarer Widerstand aus Überzeugung und Maxime. (Wikipedia)

Was heißt das? Es heißt das Zivilcourage letztlich nur ein Symptom ist – eine praktische Anwendung IHRER höchstpersönlichen Werte.

 

Das heißt Zivilcourage steht und fällt mit IHREN Werten und mit IHREM Mut. Aber welche Werte sind es für die es sich einzutreten lohnt? Es lohnt sich mal darüber nachzudenken, denn je stärker Sie von Ihren individuellen Werten überzeugt sind, desto eher entwickeln Sie die Selbstsicherheit und den Mut auch dafür einzutreten. Folgerichtig sollten wir uns heute vor allem mit Werten beschäftigen.

 

Bevor ich Ihnen meine persönliche Antwort auf die Frage darbiete wollen wir uns einmal dem Anlass unserer heutigen Diskussion widmen.

 

Meine Damen und Herren, sie eröffnen hier heute eine Ausstellung über die „Weiße Rose“, über junge Leute die für Ihre Werte und Überzeugungen in einem totalitären Unrechtsstaat eingetreten, und dafür gestorben sind. Sie sind damit zu Märtyrern, ja zu Säulenheiligen unserer deutschen Demokratie geworden. Ein Zitat von Sophie Scholl belegt die These, dass es bei Zivilcourage um individuelle Werte geht:

  • Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig. Sophie Scholl

Was waren nun die Werte, was die Maßstäbe, für die die Weiße Rose stand? In Ihrem letzten Flugblatt, dem, das Ihre Mitglieder letztlich den Kopf gekostet hat, liefert sie die Antwort:

 

Ihre Mitglieder fordern „Im Namen des ganzen deutschen Volkes vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat.“

Sie sehen sich einem Staat „rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung“ gegenüber Sie entlarven die sog.“Weltanschauliche Schulung“ als eine „verächtliche Methode, das aufkeimende Selbstdenken und Selbstwerten in einem Nebel leerer Phrasen zu ersticken.“


Es geht ihnen um „wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit!“ um Zukunft, Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewussten Staatswesen.

„Freiheit und Ehre!“ schreibt die Weiße Rose: „Zehn lange Jahre haben Hitler und seine Genossen die beiden herrlichen deutschen Worte bis zum Ekel ausgequetscht, abgedroschen, verdreht, wie es nur Dilettanten vermögen, die die höchsten Werte einer Nation vor die Säue werfen. Was ihnen Freiheit und Ehre gilt, das haben sie in zehn Jahren der Zerstörung aller materiellen und geistigen Freiheit, aller sittlichen Substanz im deutschen Volk genugsam gezeigt.

Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns!

„Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!“

Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!

 

Man merkt deutlich an dem Pathos dieser Worte, dass die Weiße Rose sich aus Kindern Ihrer Zeit zusammensetzte. Und doch erkennen Sie leicht, worum es der Weißen Rose geht – es geht um Meinungsfreiheit und Individualismus.

 

Führen wir uns noch mal vor Augen, was die Gegenthese – und die damals herrschende Meinung war. Auf einem Plakat der Deutschen Arbeitsfront von 1934 heißt es:

 

Schicksalsgemeinschaft begleitet ein Volk von seinem Entstehen bis zum Vergehen. Volksgemeinschaft ist der Ausdruck totaler Einigkeit und Einheitlichkeit eines Volkes. Von der Schicksalsgemeinschaft zur Volksgemeinschaft ist nur ein direkter Weg.“

 

Im Vorwort zu seinem Buch „Liberalismus, Nationalsozialismus und Bürgerliches Recht“ schreibt Heinrich Lange 1933: „Der Kampf gilt auf allen Fronten dem Liberalismus… Für uns ist Liberalismus die Entartung des Freiheitsgedankens in einem übersteigerten Individualismus und Materialismus. Diesem Liberalismus tritt die Pflicht und der Gemeinschaftsgedanke entgegen: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

 

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass Sie das menschenverachtende dieser „Meinungen“ zur Kenntnis nehmen. Es wird dem Einzelnen klar die Fähigkeit, sich seine eigene Meinung zu bilden abgesprochen. Er rückt in den Hintergrund. Das Schicksal hat uns einen Weg bereitet – welcher Weg der richtige ist, sagt uns der Führer und andere Meinungen dulden wir nicht.  Das war für die Weiße Rose unerträglich – und ich wünsche mir, dass so etwas auch für Sie unerträglich sein möge. Ich wünsche Ihnen nicht, dass sie je in die Situation geraten, mit Ihrem Leben für Ihre Überzeugungen eintreten zu müssen.

 

Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann vor allem das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen“, schrieb George Orwell. Bitte lassen Sie sich dieses Recht niemals nehmen und lassen Sie in Ihrem eigenen Interesse nicht zu, dass es anderen genommen wird!

 

Neben der Freiheit geht es der Weißen Rose um „Ehre“- ein Begriff, der aus der Mode gekommen ist und der heute vielleicht mit Gerechtigkeitsgefühl und Fairness übersetzt würde.

Die weiße Rose fordert ein „seiner sittlichen Verantwortung bewusstes Staatswesen.“

 

Was ist das nun wieder? Ich behaupte wir haben das Glück in so einen sittlichen Staat hineingeboren zu sein.

 

Unser Grundgesetz gibt mit seinem Artikel I die klare Antwort darauf, was unser heutiger Staat als seinen absoluten sittlichen Grundwert sieht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Es fährt mit einem Bekenntnis zu den unveräußerlichen Menschenrechten fort.

 

Diese Formulierung der „Menschenwürde“ mag dem ein oder anderen sehr abstrakt und unpraktisch vorkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber erklärt, was damit eigentlich gemeint ist: „Siehe jeden anderen Menschen immer auch als Zweck in sich selbst und nie als Mittel zum Zweck an“. Meine Damen und Herren, mit dieser Umformulierung des Kantschen kategorischen Imperativs kann man hervorragend arbeiten und danach leben – und ich halte sie für richtig.

 

Ich sagte gerade Freiheit ist vor allem das Recht anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen. Das tue ich jetzt womöglich:

 

Die Freiheit der Meinung, der Religion und die Gewissensfreiheit sind absolute Werte und werden uneingeschränkt gewährleistet. Erst wenn Gedanken in Worte und Taten umgesetzt werden, die mit der Freiheit anderer nicht in Einklang zu bringen sind, darf der Staat eingreifen. Es gibt keine „Gedankenverbrechen“ wie bei Orwell.

 

Daraus erklärt sich auch, dass die Polizei heute Neonazi Aufmärsche schützt – ja schützen muss, was uns oft befremdet. Immer wieder ist Kritik zu hören, der Rechtsstaat gehe zu lasch mit seinen Gegnern um. Meist wird dann ein Zitat angefügt: „Kein Schutz der Freiheit für Gegner der Freiheit“. Wer dieses Zitat benutzt sollte nachdenklich werden, wenn er nach dem Ursprung forscht. Es wird Monsieur Saint Just zugeschrieben, geäußert auf dem Höhepunkt des jakobinischen Terrors Anfang der 90ger Jahre des 18. Jahrhunderts. Ein Slogan von solcher Herkunft sollte für einen Rechtsstaat suspekt sein. Das Grundgesetz tritt heute mit allem Grund so selbstbewusst auf, dass es die rechtsstaatlichen Garantien auch denen gewährt, die den Rechtsstaat verachten, solange sie ihn nicht in einer mit den Grundsätzen der wehrhaften Demokratie unvereinbaren Art und Weise bekämpfen.

 

Zu den Errungenschaften des Rechtsstaates gehört es ja gerade dass er inhaltlich neutral ist. Er darf also Kritik nicht als erwünscht oder unerwünscht definieren und je nach Ergebnis dieser Definition unterschiedlich behandeln.


Das Bundesverfassungsgericht sagt „Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und Verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind daher auch frei, grundlegende Werte der Verfassung in Frage zu stellen, so lange sie Rechtsgüter anderer nicht gefährden.“

 

Gerade das macht unseren Staat besser als jeden totalitären oder Unrechtsstaat! Ob SIE das für richtig halten oder nicht, muss ich Ihnen vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit selbst überlassen.

 

Wenn es aber so weit ist, dass irgendjemand unsere Grundwerte – und die individuellen Rechte anderer angreift, dann wünsche ich Ihnen den Mut, sich für Ihre Meinung stark zu machen. Unser Grundgesetz gibt ihnen sehr brauchbare sittliche Werte an die Hand – für die es sich einzutreten lohnt. Wenn Sie das tun, haben sie mehrere tausend Jahre europäische Geschichte und Philosophie auf Ihrer Seite – Ich wünsche mir von Herzen, dass Sie diese Werte anerkennen, und in allen Lebenslagen vertreten und verteidigen. Das ist dann Zivilcourage.

Anmerkung: Ganze Passagen dieses Textes sind einem beeindruckenden Aufsatz, dessen Fundstelle ich nicht mehr weiß von Wolfgang Hoffmann-Riem geschuldet. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit!