Es gibt Tage, da sollte man die Zeitung besser nicht aufschlagen. Für meinen Blutdruck wäre es jedenfalls besser gewesen, hätte ich den Winsener Anzeiger heute morgen nicht in die Finger bekommen.
Normalerweise denke ich ja, dass hier in meiner näheren Umgebung alles etwas runder läuft als im Rest der Welt – heute habe ich den Eindruck als würde gerade alles, was mich überregional aufregt, über Winsen hereinbrechen.
Nein, ich meine nicht den Landesparteitag der Grünen in Winsen an der Luhe – es ist immer schön wenn überregionale Verbände von unserer Heimat Kenntnis nehmen – aber das ist dem WA zu diesem Zeitpunkt nur eine kleine Ankündigung wert.
Daneben – in der selben Größe – finde ich die Ankündigung einer „Demonstration gegen Polizeiwillkür und Kontrollwahn“ der „Antifa Winsen“. Die will damit insbesondere Ihren Unmut über die Videoüberwachung am Winsener Bahnhof kundtun. Selbskritisch frage ich mich zunächst, ob die Videoüberwachung dort – von mir als liberalem Ratsherrn mitgetragen! – sinnvoll ist, und das Ergebnis ist ein klares JA. Jedenfalls habe ich dort seitdem nichts mehr von versuchten Vergewaltigungen gehört und habe auch ein bessere Gefühl mein Auto dort abzustellen. Natürlich bin ich dagegen, dass wir immer und überall überwacht werden. Ich habe einer Ausweitung auch entgegengewirkt. Aber man muss doch auch einfach mal sehen, dass eine Kamera, die ganz konkret Sach- und Personenschäden verhindert einen legitimen Zweck erfüllen kann. So teile ich also die Auffassung, des Einsatzleiters der Polizei: „Es gibt überhaupt keinen aktuellen Anlass“.
So denke ich noch, schon springt mir im Artikel darüber unser Innenminister Uwe Schünemann mit geballter Faust entgegen. „Verbot für Killerspiele!“ mit gekonnter Gestik untermauerte der Innenminister seine Aussagen – so die Bildunterschrift. Klasse! Danke Herr Schünemann! Nun haben Sie den Antifa Spinnern doch noch einen „aktuellen Anlass“ geboten.
Ich nehme also zur Kenntnis, dass der Herr Innenminister auf Einladung des CDU Landtagsabgeordneten am Mittwoch in Winsen war. Wo er also viele gute Worte für den Landkreis hatte und die „Frohe Botschaft“ verkünden konnte, dass „an die Möglichkeit der Auflösung des Landkreises Harburg aus seiner Sicht nicht zu denken sei“. – Gerade so als hätten die wenigen Halbirren in der schwächelnden SPD Opposition, die an Kreisreformen gedacht haben, das auch nur in Ihrer eigenen Partei – geschweige denn im Landtag durchbringen könnnen.
Als positiv zu sehen ist sicherlich die Tatsache, dass er 75 neue Polizisten „im Gepäck hat“ – denn Sicherheit und Ordnung ist nun mal Landesaufgabe und gehört in die Hand von Profis.
Aber dann geht’s los: „Insbesondere in der Jugendkriminalität, aber auch im steigenden Alkoholkonsum sieht der Innenminister einen Schwerpunkt der nächsten Jahre. Die Zahl der Straftaten sei zwar gesunken, aber die Gewalt werde immer extremer.“ – In der Tat – ich merke wie einigen Antifas das Messer in der Tasche aufgeht – aber Herr Schünemann zeigt nicht nur Probleme auf… Er hat auch die Lösung parat: „Killerspiele gehören verboten“, machte er seine Position deutlich.
Ich halte fest – für Herrn Schünemann sind also besoffene Jugendliche, die kriminell werden, weil Sie zwischen Fantasie und Wirklichkeit nicht unterscheiden können DAS Problem der kommenden Jahre. Statt Medienkompetenz zu schulen, statt die kritische Auseinandersetzung mit dem „Bösen“ – dem Kriminellen – der Gewalt – zu suchen, verbieten wir seine Darstellung einfach, als gäbe es sowas nicht in der Welt. Bravo! Am besten auch gleich Horrorfilme und Kriminalromane auf den Index! Irre wird es immer geben – aber zu einem Amoklauf gehört, möchte ich hoffen, doch noch wesentlich mehr als die falsche Freizeitunterhaltung.
Vorbei die Zeiten, in denen man mal Alkohol trinken konnte und dabei Spaß hatte ohne irgendwen zu schädigen – vorbei die Zeiten in denen man sich einfach mal mit einem hirnlosen Ballerspiel ablenken konnte, bloss weil man daran Spaß hat, virtuelle Gegner auszuschalten – die ja nun wirklich nur aus Bits und Bytes bestehen. Weil eine winzige Zahl von Menschen damit nicht klar kommt, muss sowas verboten und kontrolliert werden. DAS ist dann wohl doch eine Demonstration gegen Kontrollwahn wert, denke ich, und lege die Zeitung aus der Hand…
Was mich so wahnsinnig aufregt ist dieser geballte Populismus, der sich gegenseitig befeuert. Viel besser kann man auf einer Zeitungsseite kaum zusammenknallen und polarisieren.
Sachliche Auseinandersetzung mit dem Jugenmedienschutz (auch „Killespieldiskussion“) im Netz:
http://www.blog.beck.de/2008/10/14/zu-wenig-jugendmedienschutz-in-deutschland/
Die alte, aber offensichtlich immer noch brandaktuelle Medienkampagne der Jungen Liberalen Niedersachsen an der ich damals mitarbeiten konnte: