Vorab:
Wie kann jeder einzelne vielleicht Leukämiekranken helfen?
Um mich gar nicht erst dem Verdacht einer Parteilichkeit zu unterwerfen, habe ich hier nicht die zahlreichen Webseiten zum Thema verlinkt – machen Sie sich lieber selbst ein Bild, indem Sie nach „Leukämie Elbmarsch“ googlen.
Und keiner weiß warum…
Das war der (leider) ebenso richtige, wie den Inhalt verschleiernde, Titel einer ZDF Reportage, die riesen Wellen geschlagen hat und zu neuer Verunsicherung auf allen Ebenen beigetragen. Es wurde die These aufgestellt und mit Indizien untermauert, die Leukämiefälle in der Elbmarsch seien auf einen Unfall in der Forschungsanstalt GKSS zurückzuführen gewesen.
Will ich mich jetzt einreihen in die lange Reihe derer, die genau sagen können, woran es liegt, dass die Kinderleukämierate in der Elbmarsch statistisch höher liegt, als in anderen Bereichen? Oder bin ich einer von denen, die zumindest sagen können, was NICHT ursächlich für die Abweichung ist? Ich muss Sie überraschen mit einem enttäuschenden „weder noch“.
Wir sind hier in einem Bereich, den ich gerne philosophisch und erkenntnistheorethisch anpacken würde… Ich weiß gar nichts sicher.. Es gibt so viele sich widersprechende Indizien.
Das Einzige, was ich sicher weiß, ist das Leukämie, wie jede schwere Krankheit furchtbar ist für den Betroffenen und die Angehörigen. Wie bei jedem Schicksalsschlag wünscht man sich, man könnte jemandem die „Schuld“ geben – besonders schlimm und bohrend muss die Frage sein: Was habe ICH falsch gemacht, dass gerade MEIN Kind Leukämie bekommt.
Gerade deshalb finde ich es auch furchtbar, mit irgendwelchen Statistiken zu hantieren, Hypothesen aufszustellen – zu versuchen diese zu begründen oder zu verwerfen. Die einzelnen Schicksale treten dabei in den Hintergrund. Trotzdem kann ich nicht bestreiten, dass Wissenschaft nun einmal so funktioniert.. Man stellt eine Abweichung von der „Norm“ fest, stellt ein Hypothese auf und sucht nach Belegen, die dafür oder dagegen sprechen. Nichts ist sicher… Was muss das emotional für die Betroffenen bedeuten… Diese dauernde Unsicherheit? Kaum vorstellbar!
Ich war jüngst auf einer Veranstaltung in Geesthacht, auf viel auf die medizinischen Aspekte der Leukämie eingegangen wurde. Vieles von dem, was ich gehört habe, habe ich offen gesagt nicht verstanden, mir nicht merken können.
Wichtig erschienen mir trotzdem ein paar Erkenntnisse:
Leukämie kann auf ganz unterschiedliche Faktoren zurückzuführen sein.. Es gibt nie nur eine Ursache – und vor allem ganz andere Hypothesen – auch auf den konkreten Fall bezogen, als nur einen Atomunfall.
Es gibt verschiedene Arten von Leukämie: ALL, AML, CML…
Die akute Lymphatische (ALL) Leukämie im Vergleich zur akuten Myleoloischen Leukämie (AML) ist in Hiroshima nach dem furchtbaren Atomangriff im Verhältnis 1,29 zu 1 aufgetreten. In der Elbmarsch liegt das Verhältnis bei 4:1 – wie es genau dem Standard entspricht. Blöde Statistiken!
Erschreckend war für mich aber, dass einige Zuhörer Frau Prof. Janka-Schaub vom Kinderklebsklinikum Eppendorf „angemacht“ haben, weil sie betroffenen Eltern wohl bei der Erstberatung Ihre Meinung gesagt hat, dass die Erkrankung mit den Kernanlagen nichts zu tun hat. Wenn ich einen Arzt meines Vertrauens nach seiner Meinung frage, will ICH die jedenfalls hören.. und keine Bestätigung in Form eines Sündenbocks erhalten. Das kann es auch nicht sein.
Sollte ich einen Roman über die Leukämie in der Elbmarsch schreiben wäre alles klar. Eine große Verschwörung der Atomlobby.. Ein vertuschter Unfall.. Hauptfigur wäre ein tragischer Held – ein Wissenschaftler, der immer mehr herausfindet, immer mehr unter Druck gerät – dessen Gewissen ihn dazu treibt weiterzumachen.. der alles Aufdeckt.. einschließlich natürlich des Mordes an Uwe Barschel, der selbstverständlich da mit rein gehört. Der Wissenschaftler wird schließlich als tragischer Held selbst umgebracht, oder landet in der geschlossenen Nervenheilanstalt. So was will der Leser.. Er will es glauben… Die Auflage wäre fantastisch.. ein Bestseller.. Wenn ich klar sagen würde es sei Fiktion, würde mir kaum jemand glauben, wenn ich die Fakten nur so in einen Rahmen packe, dass sie irgendwie reinpassen…
Langer Rede kurzer Sinn.. Nach allem was ich gelesen und gehört habe bin ich leider nicht ein Stück schlauer. Man fühlt sich wie Sokrates, der resignierend feststellt, dass er „Weiß, dass er nichts weiß“ oder wie Goethes Faust – der ach wer weiß was studiert hat und nicht schlauer ist als vorher. Soll man deshalb jetzt die Ursachenforschung aufgeben? Soll man deshalb jetzt das GKSS schließen und/oder die Elbmarsch evakuieren?
Beides NEIN! Es gibt in Deutschland die sogenannte Unschuldsvermutung – ein Begriff mit dem sich Herr Schäuble jüngst gewaltig in die Nesseln gesetzt hat. Im Bereich der Strafverfolgung hat der zu gelten – ein Faktum, gegen dass sich auch Schäuble nie gewehrt hat.
Was heißt das für die kerntechnischen Anlagen und die zahlreichen Menschen die dort arbeiten – denen man vorwerfen möchte irgendetwas zu verschleiern, weil man so gerne eine Ursache hätte.. Was heißt es für diejenigen, die unsicher sind, ob sie die Leukämie ihrer Kinder mitverursacht haben, weil sie sie in der Elbmarsch haben aufwachsen lassen?
Es heißt bis das Gegenteil bewiesen ist, sind sie unschuldig.
Diese Erkenntnis finde ich wichtig.
Dazu kommt noch eine Andere: Ob ich weiß, was in der Elbmarsch oder bei jedem einzelnen Leukämiepatienten ursächlich für die Erkrankung war, ist für mich als Dritten zweitrangig.
Vorrangig sollte man sich fragen, was kann ich tun um denjenigen, die das Schicksal so heimgesucht hat zu helfen?
Die Letzte Chance für Leukämieerkrankte ist oft die sog. Stammzellenspende, bei der von „genetischen Zwillingen“ Knochenmarkbildende Stammzellen entnommen und dem Patienten gegeben werden. Dafür muss man aber erstmal rausfinden, wer mit wem zusammenpasst. Das macht eine Vereinigung namens DKMS (die habe ich ganz oben verlinkt). Es gibt immer wieder Aktionen bei denen man sich „typisieren“ lassen kann – das heißt man lässt sich Blut abnehmen und das wird dann untersucht und in eine Datei aufgenommen – mit der dann Ärzte von Patienten mit Blutkrankheite abgleichen können, ob man als Spender in Frage kommt.
An so einer Aktion habe ich vor Jahren mal teilgenommen. Anlass war damals ein leukämiekrankes Mädchen aus dem weiteren Bekanntenkreis – und ganz viele andere haben auch teilgenommen. Das Mädchen bekam abschließend Stammzellen von ihrer Schwester und wurde gesund.
Wir, die wir uns damals typisieren ließen waren nun alle in dieser Spenderdatei – und ich war der Dritte aus der damaligen Aktion, der tatsächlich Spenden konnte. Das war nicht so tragisch, wie man es sich vielleicht vorstellt. Nachdem man in weiteren Untersuchungen festgestellt hatte, dass meine Stammzellen tatsächlich auf den Patienten passen würden war das schon erstmal ein seltsames Gefühl, dass es jetzt ernst wird. Trotzdem – oder gerade deswegen habe ich nicht lange gefackelt und mein Einverständnis gegeben. Die Voruntersuchung – bei der ich gesundheitlich auf den Kopf gestellt wurde wie nie zu vor – ergab, dass ich gesund genug bin und ich erhielt ein Präparat zum Spritzen. Ich hatte immer Diabetiker bewundert, dass sie sich so einfach selber spritzen können – ist gar nicht so schlimm, wenn man das Gefühl hat, man muss! Dieses Zeugs sollte die Stammzellenproduktion im Knochenmark anregen und als Nebenwirkungen Grippesymptome verursachen. Ich habe mir die Packungsbeilage damals bewusst nicht durchgelesen.. aber es ist schon seltsam sich bei völliger gesundheit ein Medikament zu spritzen und gleich Schmerzmittel dazu zu bekommen wegen etwaiger Nebenwirkungen.
Nun ich habe mich tatsächlich schon besser gefühlt als in der Zeit in der ich mir das Zeug gespritzt habe – aber auch bei normaler Grippe schon deutlich schlechter. Meine Stammzellen müssen getan haben was sie sollten.. Jedenfalls konnte in einer Art Blutwäsche genug von den gebrauchten Zellen aus meinem Blut gefiltert werden und nach nur einem halben Tag ohne das Medikament und ohne die überschüssigen Zellen, ging es mir schon wieder blendend.
Hinterher hab ich mir doch noch mal die Packungsbeilage angeschaut und festgestellt, dass ich mir genmanipulierte Eizellen des Chinesischen Hamsters gespritzt hatte. Ich will hier jetzt nicht noch ein Fass über Gentechnik aufmachen – aber mir war klar – ich konnte einem Menschen helfen – das zählte!
Leider weiß ich über meinen Patienten nicht viel – nur, dass ich vielleicht mit dieser Spende einem Familienvater aus Spanien das Leben retten konnte. Ich würde es wieder tun und appelliere an jeden Besucher dieser Seite: Sie können sich auch typisieren lassen und vielleicht jemandem Das Leben retten! Im Gegensatz zu aller abstrakten Statistik und Ursachenforschung steht für mich ganz klar das DKMS Motto im Vordergrund (das eigentlich ein urliberales Lebensmotto ist):
JEDER EINZELNE ZÄHLT!