Reflexe und Realitäten – Die FDP und die Innere Sicherheit

von Elmar Salgmann

Tradition, ideologische Fixierung und naive Vorstellungen über Arbeitsweise und tatsächliche Interessenlage der Sicherheitsbehörden hindern die FDP an einer realistischen Sicherheitspolitik.

Die Stellungnahme der liberalen Protagonisten ist kraftvoll und energisch ausgefallen – wie immer, wenn es gilt, den Bürger vor seinen eigenen Sicherheitsbehörden zu schützen. Das Internet –PortalLiberal – vom 24. 4.07: Stadler/Piltz: „Schäuble legt die Axt an die Grundprinzipien des Rechtsstaats“

Doch das, was da zu angeblichen Plänen des Bundesinnenministers mit der „Unschuldsvermutung“ durch die Medien der Republik braust und Politiker zu schnellen, auch schlimmen Polemiken veranlaßt, das ist nur eine unqualifizierte, unanständige, auch parteitaktisch motivierte Phantomdebatte. Tatsächlich hat Schäuble sich nur völlig korrekt zur gültigen Rechtslage geäußert und weder formuliert noch beabsichtigt, daran etwas zu ändern.

Leider ist diese Debatte auch symptomatisch für die Positionen der FDP zur Inneren Sicherheit. Sie zeichnen sich aus durch mangelnde Sachkunde, eine Art von „spezial-liberalem“ Populismus und durch die Fixierung auf ein weiteres Phantom, den „Überwachungsstaat“. Und deshalb gibt es – jedenfalls in meiner Wahrnehmung – seit Jahrzehnten keine wirklich konstruktiven Beiträge der FDP zu einer besseren Verbrechensbekämpfung, wohl aber solche, die Anpassungsbedarf an notwendige Veränderungen behindern oder vermeidbaren bürokratischen Mehraufwand bedeuten!

Tatsächlich gibt es diesen Überwachungsstaat nicht nur deshalb nicht, weil er sozusagen „von Verfassung wegen“ verboten wäre, sondern weil ihn niemand will und die Sicherheitsbehörden ihn nicht brauchen!

Kriminalistik hat mit „Datensammelwut“ und „Schnüffelstaat“ nichts zu tun. Sie „schnüffelt“ also nicht um Personen herum, sucht nicht Straftaten zu Personen, sondern Täter zu begangenen Taten. Daraus folgt eine für den Kriminalisten so banale Feststellung, daß es fast peinlich ist, sie hier zu betonen: Wer diese Taten nicht begangen hat, hat auch nichts zu befürchten!

Wer also nicht vorhat, mit einem gestohlenen Pkw zu fahren, der muß eine mögliche Erhöhung der Fahndungseffektivität durch den Einsatz moderner Elektronik nicht fürchten. Der darf das ganz unbekümmert begrüßen. Das gleiche gilt für in der Erprobung befindliche Systeme zur Personenfahndung. Auch wenn „Frontal“ im ZDF ganz aktuell in einer dramatischen Falschdarstellung die grenzenlose Überwachung aller Bürger suggerieren will. Wer von diesen Systemen nicht gesucht wird, wird von ihnen auch nicht zu Kenntnis genommen!

Eine weitere Klarstellung: In Deutschland finden weit weniger Telefonüberwachungsmaßnahmen statt, als rechtlich möglich und kriminaltaktisch geboten wären, weil die Ermittlungsdienststellen häufig nicht die dafür notwendigen Personalkapazitäten haben. Unabhängig davon – wer nach seiner Lebensführung und –planung annehmen kann, daß er niemals bestimmte Straftaten von besonderer Bedeutung begehen wird, der muß auch nicht damit rechnen, daß ein Richter gegen ihn eine Telefonüberwachungsmaßnahme anordnet. Für ihn ist deshalb die im Interesse von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr so sinnvolle Speicherung von Telekommunikationsdaten nur von absolut theoretischer Bedeutung, nur von gerade soviel praktischer Relevanz, als würde in China das Porto erhöht.

Und in diesem Sachzusammenhang: Computer und Internet sind heute für die Kommunikation – auch von Kriminellen und Terroristen und als Tatort und Tatmittel – von herausragender Bedeutung. Dem müssen sich die Sicherheitsbehörden anpassen, dafür muß der Gesetzgeber die einwandfreien rechtsstaatlichen Grundlagen schaffen. Dabei ist die Forderung, Eingriffe dürften nur wie Durchsuchungen von Wohnungen, also nach Eröffnung eines entsprechenden richterlichen Beschlusses stattfinden gerade so genial, wie es eine entsprechende Forderung bei der zunehmenden Verbreitung der Handys gewesen wäre, nämlich vor Beginn der Maßnahme mitzuteilen, „ ab jetzt wird ihr Mobiltelefon überwacht.“ Im Klartext also: Natürlich sind die geplanten online-Maßnahmen ein Sonderfall der Telekommunikations-Überwachung und müssen wie sie organisiert und kontrolliert werden.

Und wie dafür gilt, die ganz große Mehrheit der Bürger wird niemals von ihnen berührt sein.

Der Eifer, mit dem hier und an anderen Stellen vor der Beeinträchtigung der Rechte aller Bürger gewarnt wird, dieser Eifer hat vermutlich viel mit naiven Vorstellungen von der Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden zu tun – ganz bestimmt aber auch damit, daß – wider besseres Wissen – Ängste geschürt werden sollen!

Aktivisten der Kampagnen gegen den „Überwachungsstaat“ betonen hier wie auch bei der Speicherung der Telekommunikationsdaten mit großem Pathos die Gefahren, die damit der intimsten Privatsphäre aller Bürger drohen. An sie zwei ernstgemeinte Fragen, über die es sich lohnt, ernsthaft nachzudenken:

Müssen wir die Mitarbeiter in unseren Sicherheitsbehörden, die sich vielfach unter großer Belastung mit hohem persönlichem Einsatz und auch unter Inkaufnahme persönlicher Risiken im Kampf gegen Rechtsbrecher für ihre Mitbürger einsetzen, müssen wir sie allesamt für Voyeure oder Spanner halten?

Und – noch wichtiger – weil es hinführt zum zentralen Punkt der gesamten Auseinandersetzung, der tatsächlichen Interessenlage der Sicherheitsbehörden: Was wird denn, was kann denn mit diesen Daten aus der ganz privaten Intimsphäre geschehen, für die die Justiz (natürlich) keine Verwendung hat!?

Die richtige Antwort lautet: Nichts, definitiv nichts wird diesen Daten, wird mit diesen Daten geschehen! Sie werden von Ermittlungsbeamten, denen ohnehin aus ihrer Tätigkeit nicht Menschliches fremd ist, mit dem Mantel der Amtsverschwiegenheit zugedeckt und gelöscht, wenn das für den gesamten Datenbestand geboten ist.

In diesem aufgeregten Umfeld, in dieser durch eine seit langem laufende Desinformationskampagne verunsicherten Welt erscheint es nötig, die zeitlose Banalität mit Nachdruck festzuhalten:

Der Normalbürger ist nicht Zielperson für die Sicherheitsbehörden!

Richtig ist allerdings auch, daß mit den vielfältigen Erkenntnismöglichkeiten der praktischen Polizeiarbeit in großer Zahl Personen bekannt werden, von denen mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, daß sie Straftaten begehen. Und natürlich orientiert die Polizei – wie das jede andere Institution auch tun würde – ihre begrenzten Ressourcen dort hin, wo sie, gemessen an der Schwere und Gemeingefährlichkeit der Delikte, am erfolgreichsten sein kann.

Erfolgreich in diesem Sinne ist Kriminalistik, wenn es ihr gelingt, Beweismittel für die im Strafgesetzbuch beschriebenen Taten beizubringen, damit die Justiz daraus die gebotenen Konsequenzen ziehen kann. Das, was den vielbeschworenen „gläsernen Bürger“ ausmachen soll, die Bewegungsprofile, die Einkaufsprofile, Urlaubs- oder Kommunikationsprofile, sind keine Tatbestandmerkmale. Und deshalb haben die Strafjustiz und die Ermittlungsbehörden für sie keine Verwendung und an ihnen definitiv kein Interesse!

Nach allem empfinden es Kenner der Realität nicht als Überraschung, sondern als überfällige Anerkennung, was der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski in seinem 20. Tätigkeitsbericht schon Anfang 2006 ausgeführt hat:

„Wir sehen heute – zumindest in Deutschland – keine Institution, weder auf Seiten des Staates noch der Wirtschaft, die eine totale Überwachung des Menschen vorzunehmen sich anschickt.“

Dennoch: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnt (in feiner Nuancierung!) nunmehr vor dem Weg in die „Überwachungsgesellschaft“ – und für Guido Westerwelle sind Schäubles Pläne „der Weg zum Überwachungsstaat“. Der eine will das „Profil seiner Partei schärfen“, der andere seine Existenzberechtigung unterstreichen!

Herr Schaar hat stolz berichtet, daß er das neue Anti-Terror-Zentrum besucht und bei der Überprüfung Daten entdeckt habe, die für die Terror-Bekämpfung nicht erforderlich gewesen seien. Die habe er sofort sperren lassen!

Dazu aus kriminalistischer Sicht soviel: Die Relevanz von Daten ist grundsätzlich nicht isoliert, sondern nur im Kontext zu erkennen. Die Ziffernfolge –328- am Kennzeichen des Pkw im Vorgarten von Herrn Mustermann ist völlig belanglos. Diese Ziffernfolge zur Tatzeit an einem Tatort beobachtet, kann von entscheidender Bedeutung für die Fallaufklärung sein. Das heißt, die Relevanz von Daten kann zutreffend nur von einem potentiellen Bedarfsträger mit einem bestimmten Lagebild zum Zeitpunkt einer möglicherweise in der Zukunft liegenden Anfrage erkannt werden.

Unabhängig von dieser theoretischen Anmerkung provoziert Peter Schaars Erfolgsmeldung doch die ernstgemeinte Frage: Welches schreckliche Schicksal hätte diesen Daten gedroht, die da unschuldigerweise in die Hände der Sicherheitsbehörden gefallen waren und die er mit seiner Sperrung (gerade noch) retten konnte?!

Die richtige Antwort lautet: Nichts, definitiv nichts!

Schlussbemerkungen:

Über die bestehenden rechtsstaatlichen Strukturen und Verfahrensregeln hinaus besteht kein besonderes Bedürfnis, den Bürger vor seinen eigenen Sicherheitsbehörden zu schützen. Fürchten muß der Bürger nicht Behörden, die in optimalen Strukturen die großartigen Fortschritte von Wissenschaft und Technik im Dienste der Wahrheitsfindung und Gefahrenabwehr nutzen.

Fürchten muß er Behörden, die – schlecht informiert, überlastet und unter zu hohem Erfolgsdruck – mit den Methoden von gestern gegen die Herausforderungen von heute und morgen bestehen sollen.

Der „Spiegel“ meldet zur aktuellen Kriminalstatistik: „Internet-Betrug weitet sich bedrohlich aus“.

Die Liberalen in der Hansestadt Hamburg haben sich für den Wiederaufbau der polizeilichen Reiterstaffel ausgesprochen. Die kann dann im Forst „Klövensteen“, diesem beliebten Ausflugsziel vor den Toren der Stadt, Wohlgefallen im Auge der Wanderer auslösen.

Kann man besser die ideologische Fixierung und die Realitätsverweigerung der FDP karikieren?!

(Anmerkung: Herr Salgmann ist Mitglied des FDP Ortsvorstandes in Winsen Luhe und Kriminalbeamter i. R. Dieser Artikel wurde von ihm für die Mitgliederzeitschrift der Liberalen verfasst, jedoch nicht abgedruckt. Ich danke Herrn Salgmann für die Erlaubnis diese Zeilen hier zu veröffentlichen, um deutlich zu machen, dass innerhalb der FDP durchaus kontrovers diskutiert werden kann und freue mich auf eine anregende Diskussion. NR.)

Ein Gedanke zu „Reflexe und Realitäten – Die FDP und die Innere Sicherheit

  1. Herr Salgmann geht davon aus, dass Daten, die von Sicherheitsbehörden erfasst oder gesammelt wurden, dort auch bleiben.

    In der Vergangenheit hat es leider aber immer wieder Fälle gegeben, in denen Daten „verschwunden“ sind. Wenn z.B. binnen weniger als drei Jahren 500 Computer von Bundesbehörden abhanden kommen können, wer kann mir dann noch garantieren, dass sich dort nicht irgendwo auch Daten über mich befinden, die nun werweißwer hat um damit werweißwas anzustellen?

    Ist es unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, etwas mistrauisch gegenüber Datensammlern zu sein, selbst wenn sie mit besten Absichten gesammelt und gespeichert worden sien mögen?

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